MAX ERNST IN SEINER ZEIT, dieses Schwerpunktthema der Max Ernst Gesellschaft im Jahr 2005, lockte natürlich zu einem weiteren Besuch der Stadt, die Max Ernst faszinierte, und die für ihn zwischen den beiden Weltkriegen und nach seiner Rückkehr aus Amerika, wohin er als „entarteter Künstler“ fliehen mußte, zur zweiten Heimat wurde.
Die diesjährige Spurensuche sollte herausstellen, welche bereits „etablierte“ Kunst Max Ernst im Paris der 20er Jahre vorfand, wo sich die Surrealisten trafen, denen Max Ernst begegnete und welche markanten architektonischen Merkmale das Stadtbild damals bestimmten, bzw.es heute verändern.
Hauptwerke der 1922 bereits „etablierten“ Künstler befinden sich heute im Musée d´Orsay, dem zentralen Ziel der Reise. Aber leider ist der Zugang zur Kunst oft äußerst schwierig: Diesmal erwies sich weder die verschlüsselte Botschaft des Künstlers noch die Komplexität des Werkes als besonders hinderlich, sondern ein ganz kunstferner, dafür aber sehr ärgerlicher Anlaß: Ein Bombenalarm vertrieb alle aus dem Museum. Die gemeinsame Besichtigung entfiel. Erst nach Stunden erfolgte die Entwarnung und ermöglichte es allen, die ausgeharrt hatten, in die wunderbare Bildwelt des d´Orsay einzutauchen.
Glücklicherweise konnte diese Art „Bombenstimmung“ die Fahrt nicht beeinträchtigen. Durch ein kleines Dossier eingestimmt, erwanderte man unter der sachkundigen Führung eines Kunsthistorikers wichtige Bereiche im Quartier du Montparnasse, besichtigte – verständlicherweise nur von außen – zahlreiche Atelierhäuser, suchte die seit Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutende und noch heute bewohnte Künstlerkolonie „La Ruche“ auf, ebenso den benachbarten Park Brassens, in den die als beliebtes Sujet bekannten ehemaligen Schlachthöfe von Vaugirard umgewandelt worden sind. Auch die zahlreichen cafés des Montparnasse wurden besichtigt, so auch die Closerie des Lilas, in der die Surrealisten heftige Kämpfe ausgefochten haben – nicht nur verbal. La Coupole, jenes von Künstlern aller Richtungen seit 1927 stark frequentierte café-restaurant, war Treffpunkt der Max Ernst Fans – nicht nur wegen der berühmten Bilder auf seinen 32 Säulen. An diesem „Wochenende des offenen Ateliers“, an dem sich 300 Künstler beteiligten, und beim „Marché des Artistes“ wurde deutlich, dass der Montparnasse noch heute zu den bedeutenden Pariser Künstlervierteln zählt, wenn er auch nicht mehr der kulturelle Dreh- und Angelpunkt ist, als den Max Ernst ihn nach dem 1. Weltkrieg erlebte, als Maler, Bildhauer, Musiker, Schriftsteller aus aller Welt hier Zuflucht fanden und eine Atmosphäre von ungeheurer Dichte künstlerischer Inspiration schufen. Es scheint, als habe Max Ernst auf seinem 1922 entstandenen Gemälde „Au Rendez-vous des Amis“ diese Stimmung einfangen wollen, als er außer seinen surrealistischen Freunden eine große Schar nicht näher Identifizierbarer malte, die vom Berg Parnaß (der Name wurde dem Bereich im 17.Jh. von aus dem Quartier Latin vertriebenen Studenten gegeben, die hier in ehemaligen Steinbrüchen ihre Verse deklamierten) her kommend den Hintergrund der surrealistischen Szene bilden.
Die beiden Stadtrundfahrten unterschieden sich dank der Vorbereitung durch Dieter H.A. Gerhards und Karin H. Franssen, den Initiatoren der Reise, wohltuend von den üblichen Touren. Es wurden vor allem die architektonischen Merkmale vorgestellt: dörflich anmutende Straßen, mittelalterliche Gebäude und einschneidende Maßnahmen des großen Boulevards-Gestalters Baron Haussmann wurden aufgezeitgt. Im Gegensatz dazu dann Beispiele moderner Architektur, wie vor allem Mitterand sie förderte, und die vielfach als gigantomanisch bezeichnet werden müssen. Im Stadtteil Le Bercy wurde deutlich, dass Paris heute offenbar bemüht ist, die Architektur wieder auf ein menschliches Mass zurückzuführen und Wohnungen zu schaffen, in denen man sich nicht kaserniert fühlt und die von Grünfläche umgeben sind.
Das Programm ließ darüber hinaus noch viel Freiraum für Besichtigungen in Eigenregie und kam damit allen Teilnehmern entgegen, denn schließlich stellt Paris eine so vielgestaltige kulturelle Landschaft dar, dass jeder irgendwo seine eigene „Nische“ hat, die er gerne aufsuchen möchte. Dabei wird deutlich, wie rasch sich das Stadtbild verändert, wie die Stadt aber gleichzeitig ihre
Faszination bewahrt und damit nicht nur die Montparnasse-
Surrealisten in ihren Bann schlug, sondern auch die heutigen
„Amis de Max“ immer wieder anzieht.